Grenzen überschreiten, dort, wo vor mehr als 30 Jahren eine Mauer Menschen voneinander trennte. Ruhe atmen, wo das Niemandsland zwischen Ost und West einen Graben in die Gesellschaft riss und einen grünen Streifen mit bunter Flora und Fauna hinterließ, der sich auf mehr als 1400 Kilometern durch Deutschland zieht. Wir sind bereit für ein deutsch-deutsches Abenteuer. Unterwegs sind wir natürlich wieder - klimaneutral - zu Fuß. Im Gepäck vor allem unsere Zero Waste-Ambitionen, so dass der selbsthergestellte und eigens gedörrte Proviant »à la Instant« selbstverständlich nicht fehlen darf. Startpunkt unserer grünen Reise ist Heldra, ein kleines Örtchen an der Innerdeutschen Grenze in Hessen, von dort aus werden wir die 700 Kilometer nach Hause gehen, denn die ehemalige Grenze verläuft in unserer Heimat Lübeck nur einmal über den Fluss in sichtnähe.
Begegnungen
Das schönste auf unserer Art der Reise sind die Begegnungen mit Menschen. Von Pia und Gerald, den Wanderern aus Görlitz hatte ich ja bereits berichtet. Unsere Wege hatten sich kurz vorm Harz getrennt, die leise Hoffnung war geblieben, dass wir uns vielleicht irgendwo auf dem Weg nochmals treffen würden. Allerdings schwand die Möglichkeit eines Wiedersehens, denn nach dem Harz hatten wir mal wieder gehadert mit uns und dem Weg, den überteuerten Gaststätten und der großen Hitze, so dass klar war, wir wollen einmal weg vom Grünen Band und ein bisschen städtischen Flair spüren. So setzten wir uns in einen Zug in Richtung Magdeburg und staunten nicht schlecht als bei der Haltestelle Ilsenburg auf einmal Pia und Gerald, die sich auf dem Heimweg befanden, in unser Zugabteil einstiegen. Das Hallo und die Freude waren groß!!! Sie schenkten uns ihre grünen Bänder, die wir sogleich an unsere Rucksäcke knoteten. Dieses Erlebnis setzte bei uns einen Haufen positiver Energie frei, so dass unser Besuch von Magdeburg unter einem guten Stern zu stehen schien.
In Magdburg haben wir nur noch eine, nicht schöne, aber direkt am Bahnhof gelegene Unterkunft bekommen. Mehr als 20 Anfragen bei Couchsurfing verliefen leider im Nirvana des Internetdatenmülls. Doch wir haben einen Termin bei Frau Erna und der macht uns überglücklich - Magdeburg hat einen Unverpackt-Laden und hinter Frau Erna steckt eigentlich Sarah Werner, sie betreibt mit einem Geschäftspartner ihren ganz persönlichen Lebens.Mittelpunkt. Sie empfängt uns so herzlich und hätte uns sogar eine Übernachtung organisiert, doch leider lässt sich unsere Unterkunft nicht mehr stornieren. Egal, denken wir und tauchen ein in ihren Loseladen und sind begeistert, denn hier können wir nicht nur Proviant nachfüllen, sondern tanken Inspiration für zu Hause, bestaunen das große Sortiment und schaukeln.
Schaukeln?! Das geht hier tatsächlich und nicht nur für Kinder, leider aber immernoch mit Mundschutz. Sarah war klar, dass sie in ihrem Lebens.Mittelpunkt auf jeden Fall eine Schaukel hängen haben möchte, sie steht für Freude und Gelassenheit und so schaukel ich gleich drauf los.
Das schöne am Unverpackt-Laden ist, dass man so viel entdecken kann und dass hier einfach der Idee vom verpackungsfreien Leben keine Grenzen gesetzt sind. Hier kommen wir ins Schwärmen. Beeindruckt sind wir auch von der Kühltheke, hier gibt es marinierte vegane Medaillons zum Grillen und sogar Aufstriche im Mehrwegsystem, dass Sarah selbst mit dem Unternehmen vereinbart hat. Liebevoll ist auch ihre Handschrift beim Teesortiment, Frau Erna trinkt Tee "unverpackt", doch die netten Sprüche auf dem Jogitee hat sie immer vermisst. Nun sammelt sie unter den übriggebliebenen Teebeutel-Teetrinkern die kleinen Etiketten und gibt sie den Kunden beim Teekauf mit.
Sarah berichtet, dass auch Ketten wie DM oder Edeka beim Unverpacktsortiment nachziehen. Sorge bereitet ihr das aber nicht, denn sie ist sich sicher, dass sie mit ihrem umfangreichen Angebot ein Alleinstellungsmerkmal hat. Wir geben ihr recht und es kommt noch eine Sache dazu: es ist die große Gastfreundschaft mit der jeder Kunde und auch wir, als völlig fremde Reisende, an diesem Ort aufgenommen und eingeladen werden. Sarah nimmt sich einfach Zeit für uns, gibt uns ein paar Tipps für Magdeburg und schenkt uns für den Weg das Spiel "Planet A". Das ist herzerwärmend und gibt uns ein wunderbares Gefühl! Wir sagen Danke!
Ein Tipp von Sarah führt uns in das Botanica, ein - oder sollte ich besser sagen - DAS vegane Restaurant weit und breit.
Hier gibt es endlich Gemüse und dazu ein tolles Ambiente!
Die Grüne Zitadelle
Das Hundertwasser-Haus besuchen wir ebenfalls und sind - mal abgesehen von der Oberlehrerin (Guide), die uns durch die Grünen Zitadelle führt - angetan. Es lohnt sich, einen Blick auf den Künstler Friedensreich Hundertwasser zu werfen. Klar, ich kenne einige seiner Arbeiten, hab irgendwo vor 15 Jahren in Neuseeland eine Hundertwassertoilette besucht und benutzt und bin unzählige Male beim Hundertwasserbahnhof in Uelzen umgestiegen, doch dass Hundertwasser so ein grüner Bursche war, wusste ich bisher nicht. Er war der festen Überzeugung, dass der Mensch nur im Einklang mit der Natur glücklich wird und die Grüne Zitadelle ist Inbegriff dieser Idee.
In Kunst und Architektur vertrat er die ungerade Linie radikal. Er kämpfte dafür, dass jeder Mensch anrecht auf ein Fenster hat und dieses auch individuell gestalten darf. In seiner Grünen Zitadelle haben sogar Bäume ein Fensterrecht.
Über Hundertwasser lässt sich noch so viel erzählen und ich bin eingenommen von seiner Arbeit und seinen Ideen. Abschließend erfahren wir aber noch, dass Hundertwasser in Neuseeland viele Hektar Land kaufte, um sie der Natur wieder zurückzugeben...
Der Zufall will es, dass eine unserer Lieblingsbands nach längerer Corona-Pause auf einem Hoffest in Magdeburg auftritt. Das lassen wir uns natürlich nicht entgehen!
Zurück zur Natur, leichter denn je
Wir verlassen Magdeburg und hüpfen zurück aufs Grüne Band. Dany und ich sind leichteren Fußes unterwegs, denn wir haben aussortiert. Wie konnten wir nur glauben, eine lange Merinohose sei nützlich?!? Bei 35 Grad fällt uns das Paketpacken leicht, es bleiben nur die Essentials.
Trotz des leichteren Gepäcks sind 35 Grad eben 35 Grad und so schwitzen wir von Kilometer zu Kilometer, verbringen eine klebrige Nacht beim Wild-Campen in einem geschliffenen Dorf, ernten Pflaumen und springen schließlich in ein erlösendes Bad im Ahrendsee. Endlich Wasser!!!
Gastgeber am Grünen Band
Wir sind nun im Reiseflow, wir laufen und laufen, mal wird das Zelt aufgebaut, mal schlafen wir in einer Pension. Wir lernen Leute kennen, zwei Wanderer - Alex und Conny treffen wir unterwegs immer wieder. In Mödlich nächtigen wir im Elbeglück und schnattern mit Margit, die auf dem Elbradweg unterwegs ist. Wir geraten an Gastgeber, die unter Gastgeben nur Geld nehmen verstehen und wenn da in Mödlich nicht Frîa gekommen wäre, hätten wir so langsam an den Elb-Gastgebern gezweifelt. Natürlich bedeutet eine Pension auch, dass wir Geld bezahlen werden, doch es gibt einfach Unterschiede. Es ist die Art, wie du gesehen und wahrgenommen wirst, es sind oftmals nur Kleinigkeiten, die eine Übernachtung zu einer tollen Erfahrung werden lassen. Frîa hat in Mödlich Ferienhäuser, Apartments und Radler- Unterkünfte. Sie sind alle geschmackvoll eingerichtet und wir fühlen uns sauwohl. In Frîas Gartenlokal direkt am Deich gibt es ehrliches Essen, das regional ist. Bei einer Wildbratwurst mit hausgemachten Kartoffelsalat und Chutney sowie einem Glas Wendlandbräu lassen wir es uns nach dem heißen Tag gut gehen. Zwischendurch hat Frîa immer wieder Zeit für uns, das ist bei dem regen Treiben (Menschen und Wespen) im Gartenlokal bewundernswert!
Frîa ist sich sicher, dass echtes Gastgeben vom Herzen wieder zu dir zurück kommt und das lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Gut gestärkt - vor allem emotional - und mit einer Einladung zu Frîas Geburtstag im nächsten Jahr, verlassen wir Mödlich mit der Absicht wiederzukommen.
Meine Eltern schauen kurz vor Dömitz auch vorbei und erinnern uns daran, dass wir uns der Heimat nähern.
An der Elbe
Die wunderschönen Elbtalauen begleiten uns in Richtung Hitzacker. Laut rufen uns Kraniche hinterher und Greifvögel umkreisen uns wie ihre Beute. Doch das Festhalten der wunderschönen Tiere auf einem Foto will Dany nicht so recht gelingen. Motiviert und ambitioniert hält er die Kamera stets parat. "Mein Objektiv ist zu klein" beklagt er sich ständig. Da hat er wohl recht, denn die beiden Kraniche findet man nur, wenn man ordentlich heranzoomt und die Scholle mit Federn (wie Alex das Bild beschreibt), ist eine der acht Fasandamen, die urplötzlich neben uns aufflattern. Während Dany halb im Schock, halb verzückt noch eben auf den Auslöser drückt, springt schon ein Reh aus dem hohen Gras, setzt über den Weg und versetzt Dany einen weiteren Schreck. Ich habe gut lachen, während Dany dramatisch sein Herz mit der Hand hält und die größe des Reh-Popos beschreibt, der plötzlich neben ihm auftauchte und ihn quasi zu verschlingen drohte.
Ein Glück werden wir bald darauf von #TheoLast auf dem Rad überholt, dass er Fotograph ist, lässt sich auf Grund seiner Kamera mit großem Objektiv nicht leugnen. Er verspricht uns, abends ein paar seiner Bilder des heutigen Tages zu schicken und hält Wort.
Destinature - Werkhaus
Das Destinature-Dorf erwartet uns in Hitzacker und wir können es kaum abwarten unsere müden Glieder hier auszuruhen. Hitzacker kennen wir gut, doch das Destinature Dorf des Unternehmens Werkhaus hat erst seit dieser Saison geöffnet. Ein bisschen hatten wir im Vorfeld recherchiert und doch staunen wir nicht schlecht, als wir in dem Dorf stehen, in dem alles mit einem einfachen und genialen Stecksystem gebaut wird. Hütten, Tische, Tresen, Halterungen, Taschentuchboxen und Kompostklo, alles funktioniert hier nach dem gleichen Prinzip. Wir beziehen unsere Hütte und Dany hält die ersten Eindrücke mit der Kamera fest.
Abends treffen wir uns mit Eva Danneberg, sie betreibt seit vielen Jahren mit ihrem Mann Holger das Unternehmen Werkhaus. Auch zwei der vier Kinder sind Teil des Betriebs und bringen sich mit ihrem Wissen in die nachhaltige Gestaltung des Familienunternehmens ein. Hinter der Familie steht mittlerweile eine große Belegschaft, der Betrieb bildet aus, beschäftigt Flüchtlinge und Menschen mit Behinderungen. Produziert wird für den internationalen Markt komplett mit Greenpeace-Strom und in der Region. Auch das Material, das hier zum Einsatz kommt, wird nachhaltig produziert.
Über Nachhaltigkeit hat Eva viel zu berichten, und im Destinature-Dorf wird die Unternehmensvision transparent. Hier ist nichts halb durchdacht, das Konzept ist authentisch und von höchster Qualität. Die Hütten sind klug und funktionell eingerichtet, Sauna und Badezuber laden zur Erholung ein und das Bistro überzeugt durch ein frisches Bioangebot, das auf Plastik verzichtet und hervorragend schmeckt. Seifen- und Schampoospender werden mit Bioprodukten nachgefüllt, das Toilettenpapier kommt von Viva con aqua und sämtliche Textilien sind hergestellt aus fairer und biozertifizierter Baumwolle. Wo auch immer das Auge auch hinschweift, stellt sich das Bio-Glamping-Erlebnis scharf und fühlt sich unfassbar gelungen an. Hinzu kommen freundliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und die Freiheit, sich ein Lagerfeuer im Korb oder eine der Saunen anzuheizen, wann immer man möchte und das mitten in der Natur und doch stadtnah. Die Familie Danneberg hat noch viele Pläne, es sollen mehr Destinature-Dörfer als Franchise entstehen. Wir sind uns sicher, das wird diesem beispielhaften Unternehmen gelingen.
Während wir im Zuber vor uns hin garen, sind Dany und ich dankbar für die Erfahrung hier an der Elbe. Das Dorf mit seinen Steckhütten ist alles, was wir gesucht haben. Hier laufen wirtschaftliches und ökologisch nachhaltiges Handeln auf Augenhöhe und ganz natürlich nebeneinander her. Als wir Holger an unserem letzten Abend zufällig im Destinature Dorf beim Verladen treffen, ist es um uns geschehen. Der Chef ist hier tatsächlich der Mann für alle Fälle und begeistert uns mit seiner Art. Holger packt an, wo er gebraucht wird, ob beim Kompostklo putzen oder, wie heute Abend, beim Papiermüll verladen. Er lädt uns ein und berichtet beim Störtebecker Bier von der nicht immer einfachen Realisierung des Projekts und seinen Ideen. Sein Kopf scheint niemals still zu stehen. Er ist ein Kämpfer für seine Ideale und ein anpackender Ideenrealisierer. Holger gibt uns die Hoffnung, dass der Weg zum Retten dieser Welt noch offen ist!
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