und dann sind wir wieder unterwegs, dieses Mal auf dem Königsweg in Schweden, die letzte Wildnis Europas empfängt uns und unseren Wunsch nach Natur, Weite und Abgeschiedenheit. Green Travelling hat uns wieder, mit viel Lust aufs Abenteuer und natürlich klimabewusst mit dem Ziel, so wenig Fußabdruck wie möglich zu hinterlassen.
Abisko Touriststation
Die Anreise nach Abisko zu unserem Startpunkt ist rückblickend doch eine recht lange Tour, der Nachtzug ist zwar Dank Schlafabteil sehr gut auszuhalten, doch spätestens um 5 Uhr mit Ankunft in Boden ist Schluss mit dem Schlafen. Der Zug fährt hier nicht weiter und wir müssen dann noch mal sechs Stunden mit dem Bus fahren. Mit uns im Bus Gleichgesinnte und ein Hund. Es ist klar, wer so weit nach oben fährt, möchte Wandern, doch noch sieht die Landschaft trist und wenig einladend aus und mit Erreichen der Bergbaustadt Kiruna, müssen wir heftig schlucken, nur noch eine Stunde Fahrt und die Landschaft wird immer düsterer. Die Häuser sind hier verlassen und der Busfahrer moderiert den Anblick zynisch, während er den Reisebus durch die Geisterstadt lenkt. Ein Deutscher im Bus hinter uns, der allen Anschein nach schon öfter in Nordschweden war, erklärt, dass hinter Kiruna nun die schöne Landschaft beginnt. Und er behält recht, schnell tut sich ein Tal mit See vor uns auf, die Berge stapeln sich im Hintergrund und versprechen Schnee und Wasser. Der See leuchtet in türkis und der Himmel wolkenfrei in Blau.
Abisko Toursitstation kann man sich als Full-Service-Berghotel vorstellen. Es gibt Einzel-, Doppel- und Mehrbettzimmer, ein Restuarant, Outdoorladen mit Proviantverkauf sowie die Möglichkeit ein Zelt aufzustellen und die Sauna sowie den Trockenraum und weitere Facilities mit zu nutzen. Es ist der ideale Standort für den Einstieg in den Königsweg und es wimmelt hier vor Wanderern, die meisten von ihnen sind aber nur ein paar Tage unterwegs. Wir stellen unser Zelt für eine Nacht bei der Touriststation auf und nutzen den angebrochenen Tag um uns Abisko und die Umgebung einmal von oben anzuschauen.
Los gehts's
Direkt hinter der Touriststation beginnt der Kungsleden mit einem rauschenden Fest der Natur und allem was wir uns gewünscht haben. Wir nutzen die Gelegenheit, um die Beine ins kühle Nass zu halten, am Abiskojärvi versuchen wir ein Bad zu nehmen. Es wird dann aber eher Plantschen in Ufernähe, da das Ufer zu steinig und das Wasser zu kalt ist, um sich einfach hineinzustürzen. Wir genießen es dennoch, gleichzeitig schreitet die Zeit voran und wir müssen ordentlich zulaufen um unseren Zeltplatz für die Nacht zu erreichen. Im Abiskonationalpark darf nur auf ausgewiesenen Plätzen gecampt werden und so durchwandern wir den Nationalpark der Länge nach, lassen die erste bewirtschaftete Hütte rechts liegen und erreichen am Abend mit vielen weiteren Wanderern den Wildzeltplatz mit Kompostklo, das bis zum Himmel stinkt. "Da geh ich garantiert nicht drauf" sage ich und suche mir abseits Alternativen. Wir sind ja voll ausgestattet, was diese Sachen angeht. Aus einer alten PET-Flasche hat Dany ein Handbidet gebastelt, außerdem führen wir noch unser 100 % abbaubares Klopapier mit und einen Mini-Spaten "fürs Grobe" habe ich auch dabei. An dieser Stelle möchte ich auf eine amüsante und nützliche Lektüre verweisen. Wer nicht weiß, wie man sein Geschäft in der Wirldnis macht, dem lege ich "How to shit in the woods" von Kathleen Meyer sehr ans Herz.
Alesjaure
Über Nacht hat sich das Wetter verändert, ich schlage meine Augen auf und höre Regentropfen auf unsere Zeltplane fallen. Wir murren kurz, frühstücken, ziehen uns an, packen alles ein, tüdeln die Regenklamotten obendrauf und steigen dann aus dem Zelt in die grau-nasse Welt. Es ist kein Ende in Sicht und so laden wir das plitsch-nasse Zelt ein, zurren es auf Danys Rucksack und beginnen den ersten längeren Aufstieg über Geröllsteine, die uns künftig begleiten werden. Ich pfeife aus dem letzten Loch und ärgere mich über das Abhandensein meiner Fitness, tröste mich aber damit, dass sie später sicherlich nachkommt...
Wir durchwandern die Fjelllandschaft und außer ein paar Samenhütten in weiterer Entfernung gibt es hier nur Natur und Wasser. Das Wetter zwingt uns ohne große Pausen weiterzugehen und der Weg lässt uns beim Bootsanleger Alisjärvi die Wahl: Wir können entweder die letzten 7 Kilometer mit einem Motorboot zur Hütte fahren oder aber zu Fuß zu gehen. Meine Beine sagen "Boot", das Portemonnaie sagt "Gehen", so ein Transport kostet umgerechnet 45 Euro pro Person und so stapfen wir drauflos und sehen auf dem Weg Rentiere.
Der Hüttenwart von Alesjaurehütte ist ein älterer Herr, der als erstes Wissen möchte, ob wir mit dem Boot gefahren oder gelaufen sind. Ich strahle ihn stolz an: "We walked!" Dafür erhalten wir nun ein Etagenbett, das mit 50 Euro pro Person auch ganz schön reinhaut. Dafür dürfen wir auch hier den Trockenraum, sowie die Hüttenküche und die Sauna nutzen. In die Sauna wollen wir auf jeden Fall, denn sie ist die einzige Chance auf heißes Wasser. Dany kümmert sich um das Trocknen des Zeltes und ich gehe auf direktem Weg zur Sauna. Während ich das kochende Wasser aus einem großen, vom Saunaofen beheizten Kessel schöpfe, es mit kälterem Wasser mische und mich damit übergieße, bin ich glücklich: Ich habe die zweite Etappe geschafft, der Regen hat aufgehört und beim Blick aus dem Duschraumfenster liegt vor mir das türkise Wasser des Alisjärvi.
Zwischen Tjäktja und Sälka
Am Abend wird von den Wanderern auf der Hütte diskutiert, ob das Zusammenlegen der nächsten Etappen sinnvoll ist. Jede Etappe für sich sei zu kurz, ich überlege und irgendwie packt mich der Ehrgeiz. Dany schafft das locker, doch bei mir krampft sich seit einigen Stunden im Bein ein Bereich, von dem ich nicht wusste, dass es ihn überhaupt gibt. Mir ist klar, das mein von Büroarbeit trainierter Corpus delicti hier ganz schön was leisten und ich einfach meine Komfortzone verlassen muss und das tut dann halt ein bisschen weh. Wir peilen also zwei Etappen an, sind dann aber erst um 15 Uhr am ersten Etappenziel. Eigentlich benötigen wir eine Pause und was warmes zu Essen, doch irgendwie treibt es uns von Tjäkta weiter den Berg über Geröll hinauf zum Tjäktjapass. In der Schutzhütte genehmigen wir uns eine kurze Pause und sammeln die letzten Kräfte für den Abstieg ins Tal zum Fluss Tjäktjajåkka, dort zelten wir wild ca. 4 Kilometer vor dem zweiten Etappenziel Sälka.
Über Sälka und Singi tiefer ins Fjell
Am nächsten Morgen erreichen wir vor dem allgemeinen morgentlichen Aufbruch die Sälkahütte, mit uns fliegt ein Hubschrauber ein, landet, sammelt einen Wanderer auf und verschwindet ebenso schnell, wie er gekommen ist. So sieht hier das Taxifahren aus! Wir kaufen ein bischen Proviant und erfahren von der freundlichen Verkäuferin, dass alle Hüttenwarte ehrenamtlich beim STF engagiert sind und je nach persönlichem Urlaub ein bis drei Wochen die Bewirtschaftung der Hütten übernehmen und sich um das Wohl der Wanderer kümmern. Dieses Engagement begeistert uns und auch die Infrastruktur der Hütten ist beeindruckend. Hubschrauber bringen Gas in großen Flaschen, so dass die Wanderer kochen können, auch der Proviant, das Mückenspray und das Klopapier werden so auf die Hütten gebracht. Ein großes Stück Komfort auf diesem abgelegenen Stück Erde. Dany lernt bei den Kompostklos zwei Wanderer aus Chemnitz kennen, Franziska und Bastian, auch sie wolllen mit ihren zwei Freunden noch einen weiteren Abschnitt des Königsweges gehen. Die ersten Leute, die nicht den Königsweg in Richtung Kebnekaise bereits wieder verlassen. Denn Schwedens höchster Berg ist für viele bereits der Ausstieg aus dem Kungsleden. Wir lassen Sälka, Singi und den Abzweig zum Berg hinter uns und machen noch ein paar Kilometer der nächsten Etappe gut, bevor wir einen Stellplatz für unser Zelt suchen.
In dieser Nacht frischt der Wind auf und am Morgen sitzen wir etwas ratlos im Zelt und überlegen, wie wir den Aufbruch bei diesem Sturm wagen können. Warten erscheint uns keine Lösung zu sein und so wollen wir unser Zelt einpacken, kaum haben wir die Heringe gelöst, greift der Wind so richtig zu und Sekunden später hören wir ein Knacken. Wir drücken das Zelt zu Boden und begutachten den Schaden, eine Stange ist zu Bruch gegangen. Erschüttert darüber packen wir dennoch schnell zusammen und laufen los, denn vom Warten wird sich die Stange nicht selbst reparieren.
Kaitumjaure und Teusajaure
Das kaputte Zelt rückt in Anbetracht der wunderschöne Etappe in den Hintergrund. Wir wandern weiter entlang des Tjäktjajåkka, der sich mal schmal, mal breit, mal wild mal seicht durch das Tal schlängelt, wir sind früh unterwegs und treffen die ersten Stunden niemanden. Mit einer Hängebrücke lassen wir den Fluss hinter uns und erreichen wieder Birkenwald. Ein Schwede, John, kommt uns auf der Brücke entgegen und macht uns Mut, in Kaitumjaure könne man eine gute Pause einlegen und da gibt es auch einen geschickten Hüttenwart, der uns beim Zelt helfen kann. Kurze Zeit später treffen wir ein Paar aus Kanada und sie kommen aus Hemavan, die ersten Wanderer, die das gesehen haben, was uns noch bevorsteht. Sie sind so begeistert und steigern unsere Vorfreude auf die kommenden Abschnitte.
Die Geschicklichkeit des Kaitumjaure-Hüttenwarts Stefan nehmen wir dann doch nicht in Anspruch, er liefert aber den entscheidenen Hinweis, denn er kommt auf die Idee, einmal das Repair-Kit unseres Zeltes zu durchsuchen. Da befindet sich ein kleines Röhrchen drin, das wir einfach über die kaputte Zeltstange schieben, um so das aufgeplatze Aluminium wieder zusammenzudrücken. "Da hätten wir eigentlich auch selbst drauf kommen können", bemerkt Dany erleichtert. Wir machen in der Hütte eine längere Mittagspause, für einen kleinen Betrag kann man dort kochen und ein Feuer im Ofen anheizen. Dabei genießen wir den wunderschönen Blick durchs Fenster.
Auch die Chemnitzer machen eine Pause dort und wir freuen uns über ein Wiedersehen.
Wir laufen weiter durch Birkenwälder, vorbei an Moltebeeren und Birkenpilzen immer weiter bergauf, um dann gerade noch rechtzeitig ein Motorboot zu erwischen, das uns über den See bringt. Mit uns fährt Anna aus Tschechien, mit der wir quasi in den ersten 5 Minuten Freundschaft schließen. Sie will auch den ganzen Königsweg wandern, hat aber einen ganz schön straffen Zeitplan. Gemeinsam steigen wir am anderen Ufer wieder durch den Birkenwald empor, auf der Suche nach einem Zeltplatz für die Nacht und auch nach Wasser. Anna teilt mit uns ihren letzten Liter und gerade als wir denken, es kommt kein Fluss mehr, taucht Franzi, die Chemnitzerin auf. Sie hat uns nicht nur einen Zeltplatz reserviert sondern weist uns auch den Weg zu einem Bach.
Wir versuchen aus etwas zu nassen Birkenästen ein Feuer zu entfachen und während wir uns eigentlich mehr räuchern als wärmen, läuft eine Herde Rentiere an uns vorbei. Dieses Schauspiel wiederholt sich noch einige Male in dieser Nacht, doch davon bekomme ich nichts mit. Eingerollt in alle Klamotten, die mein Rucksack hergibt, kriecht dennoch die Kälte unaufhörlich in mir hoch, lässt meinen Hals kratzen, meinen Kiefer klappern und meinem Körper vom Schüttelfrost erzittern. Dany neben mir, ganz der Backofen, packt noch mehr Klamotten auf mich drauf und umfasst mich mit seinen Armen, bis ich erschöpft doch noch ein bisschen in den Schlaf finde.
Weiter in Richtung Saltoluokta
Trotz der wirklich schlechten Nacht müssen wir früh los, vor allen anderen versuchen wir den Anstieg motiviert in Angriff zu nehmen. Ich habe allerdings zunehmend das Gefühl erschöpft zu sein und muss viele Pausen einlegen. So holt uns Anna auch recht bald ein, sie möchte, wie wir auch, den Bus um 14 Uhr von Teusajaurehütte nach Saltoluokta erreichen. Auch die zurückgelassenen Chemnitzer haben dieses Ziel, und auch sie holen uns schließlich wieder ein. Konfrontiert mit meinen körperlichen Grenzen, steigen der Frust und das Kratzen im Hals kontinuierlich an. Nach einer aufregenden Flussquerung überholen uns auch die Chemnitzer und schließlich geht es für viele Kilometer über die geröllige Hochebene. Das schöne Panorama, der erste Blick auf die Berge des Sarek, das illustre Rentier entlang des Weges und die herrliche Sonne sind ein wahrgewordener skandinavischer Traum - ich schleppe mich da buchstäblich durch eines der schönsten Fleckchen Erde und sehe die Schönheit nicht. Im Nachhinein weiß ich, dass diese Etappe für Dany auch kein Zuckerschlecken ist, er läuft zwar munter mit knipsender Kamera drauflos, aber in ihm steigt auch die Sorge, dass wir es nicht schaffen. Ein harter Abstieg folgt und entlang eines Wasserfalls geht es immer weiter nach unten und auf einmal liegt vor uns etwas, das wie Zivilisation ausschaut: eine Straße mit Strommasten. Sie markiert das Ende des ersten Abschnitts. Ab hier ist der Königsweg unterbrochen und nach einer Erfrischung im rauschenden Fluss, dem Schuhwechsel und in einem neuen T-Shirt, geht es mit dem Bus weiter zum Bootsanleger Kebnats. Kurzzeitig geht es mir besser, ich bin froh, dass ich es zur ersten Fjellstation geschafft habe.
Mit dem STF-Boot geht es über den See rüber nach Saltoluokta, einem Samendorf, das im Dornröschenschlaf liegt, nur die Fjellstation ist hochaktiv. Dany und ich buchen uns die Suite: 5 Quadratmeter, Stockbett und WC über den Gang. Dann steigt mein Fieber und am nächsten Morgen ist auch der mitgebrachte Covid-Test positiv. Mit zwei heftigen Niesern schießt mir dann noch eine Hexe in den unteren Rücken und ich sinke danieder, wie ein angeschossenes Rentier.
Ein bitteres Ende für unsere Wanderung, auch Dany hat am übernächsten Tag Symptome und so entschließen wir uns schweren Herzens und ziemlich angeschlagen, die Wanderung abzubrechen, während am Fenster unseres Zimmers die Wanderer durch einen Torbogen mit der Aufschrift »Kungsleden« an uns vorüber und weiter in Richtung Wildnis ziehen.
Rückblick
Es hat ein wenig gedauert, erst gut zwei Monate nach der Reise beende ich den Artikel über die Wanderung auf dem Königsweg und erinnere mich an die Schönheit Schwedens ohne große Traurigkeit zu empfinden. Nach der Zugfahrt schrieb ich noch ein paar Worte, doch es floss mir nicht mehr aus der Hand, ich war einfach zu enttäuscht.
Wir haben unsere Wunden geleckt, uns geärgert, abgelenkt und von Corona erholt, schließlich bleibt nur noch der Wunsch, die Bilder über den Königsweg doch noch mit euch zu teilen und natürlich der Vorsatz, diese unfertige Reise ein anderes Mal zu vervollständigen...
Anni und Dany
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